Von Amba, Gott und dem Weltgeist Giordano Bruno

Also Kapitel 2 und Infos zu dem Vorhaben gibt es hier. Und zum besseren Verständnis sollte das wohl zuerst gelesen werden. Im zweiten Kapitel gibt Horst einen kleinen Einblick in sein Innenleben. Der eine sagt wohl, dass das spannend, fantasievoll und lehrreich ist, ein anderer mag entgegnen, es hier mit einem ganz schönem Klugscheißer zu tun zu haben. Ich denke beide haben recht.

 

2. Von Amba, Gott und dem Weltgeist Giordano Bruno

Aber bevor ich berühmt werde, habe ich einiges zu ertragen. Meine Mitschüler halten mich für einen Streber und meine Lehrer für ein Genie. Vermutlich haben sie sogar recht. Lieber wäre es mir allerdings, hielten meine Mitschüler mich für ein Genie und die Lehrer für einen Streber. Vor einem Genie haben alle Respekt, auch wenn es Horst heißt, und einen Streber finden alle Lehrer toll.

Normalerweise kann mir das ja egal sein, aber ich bin nun mal gefangen in einem Körper eines Horsts, der 11 Jahre alt ist. Das bedeutet, alle Menschen halten mich für einen 11jährigen Horst: Mitschüler lästern, Mamas tätscheln und Lehrer loben mich für meine Schulnoten.

Das mag für einen 11jährigen Horst natürlich Alltag und irgendwie okay sein. Schließlich mobbt mich keiner. Mobben ist was für Schulbücher und Horste. Aber ich bin ja kein wirklicher Horst, sondern bin nur gefangen im Körper eines 11jährigen Horsts.

Der Gedanke tröstet mich. Ich stelle mir dann vor, dass meine Seele ist weit gereist und schließlich in diesem Körper gelandet ist. Nur so lässt sich erklären, warum ich so anders als die Anderen bin. Das ist sogar möglich. Das hat mir Amba aus meiner Klasse gesagt. Die ist aus Indien und Hinduistin.

Hm, eigentlich ist sie aus Köln, denn da ist sie geboren. Aber sie hat so dunkle Augen und dunklere Haut. Bestimmt sind ihre Eltern mal nach Köln gezogen und deswegen sagen alle, dass sie Inderin ist.

Hinduismus ist so was wie Christ oder Moslem sein, nur sind das die Inder und es ist mit vielen Göttern. Amba war zum Beispiel vorher sogar eine Göttin, sagt sie.

Wenn das wahr ist, sage ich, war ich bestimmt ein berühmter Wissenschaftler vor vielen hundert Jahren. Dahin reise ich dann zurück in Raum, Zeit und meinen alten Körper.

Ich bin dann Giordano Bruno und lebe 1570 in einem Kloster in Neapel, wo man früher lernte, wenn man so schlau ist wie ich. Schulen gab es da ja noch nicht. Die Seelen von Yusuf und Jannis sind da noch in Ratten und Schweinen. Da stört es auch nicht, wenn ich mit Steinen drauf werfe oder nach ihnen trete. Aber das mache ich gar nicht, denn ich lese die Bücher in Latein und werde noch klüger als ich schon bin.

Mein Tag sieht dann so aus: Ich stehe morgens auf, muss dann in dem Kloster erst mal beten, dann sauber machen, Kühe melken, Ratten vertreiben und Schweine schlachten, danach wieder beten, sauber machen, wieder beten und dann endlich lernen. Und wenn mir die Augen schon zufallen, muss ich noch barmherzig sein, Arme füttern und noch mal beten. So geht das jeden Tag.

Aber eines Tages bete ich so vor mich hin und dann erscheint mir Amba anstatt der heiligen Maria. Ich bin hin und weg. Amba ist knallig bunt und guckt gar nicht immer so bedröppelt wie die heilige Maria. Außerdem reitet sie auf einem Tiger.

Das beeindruckt mich und ich kann es fortan nicht erwarten, in meine Klosterkapelle zu kommen. Dort tauschen wir uns aus, weil wir ja beide unheimlich weise sind. Amba, weil sie eine Göttin ist, und ich, weil ich so viele Bücher gelesen habe.

Nach einer Weile, fange ich dann an zu glauben, dass wir alle Teil eines großen Weltgeists sind oder werden. Bei den Hindus heißt das Brahman und wenn man alles richtig gemacht hat, wird man dazu. Also zu Gott.

Ich schreibe das alles also heimlich auf. Heimlich, weil sowas damals ziemlich verboten war. Damals durfte man noch nicht mal sagen, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Da wurde man bei lebendigem Leib verbrannt.

Also war ich auch noch super mutig. Schlau und mutig.

Deswegen habe ich auch die Schriften des heiligen Hieronymus ins Klo geschmissen, als ich entdeckt wurde und fliehen musste. Hieronymus war ein ziemlich wichtiger Typ für die Kirche, weswegen ich das auch ziemlich verwegen finde.

Ich floh also und reiste durch ganz Europa herum und erlebte wahnsinnig viele Abenteuer. Am Ende habe ich dann aber doch Heimweh nach Italien gekriegt und dort hat mich die Inquisition in die Finger gekriegt. Das waren bestimmt Nico und Deniz, die alten Petzen und Schleimer.

Natürlich habe ich auch unter schlimmster Folter nie geleugnet, was ich über Gott und den Weltgeist heraus fand. Amba hat mich im Kerker auch immer besucht und getröstet. Sonst hätte ich das nicht durchgehalten.

Und was ist der Dank? Die haben mich am Ende verbrannt. Und anstatt dass mein Atman , so heißt die unsterbliche Seele bei den Hindus, in den Brahman, also Weltgeist, aufgeht, werde ich in diesem Körper eines 11jährigen Horsts in diese Klasse 5b rein versetzt. Neben mir sitzt Amba, Nico und Deniz mir gegenüber und am Tische rechts boxt Jannis Yusuf in die Seite.

Vielleicht hätte ich das mit Hieronymus’ Schriften nicht machen sollen.

Das ist trotzdem nicht fair.

Einsatz im Unterricht

Thematisch ist es im Fragenkreis 1 – Die Frage nach dem Selbst: Ich und mein Leben zuzuordnen.

Im Unterricht lassen sich idealerweise personale Kompetenzen, wie das Beschreiben eigener Stärken thematisieren. Dabei dürfen SuS auch ihre kulturellen / religiösen Wurzeln mit einfließen lassen und damit einen Beitrag zur Sachkompetenz leisten. Methodisch wird ein Gedankenexperiment eingefügt, sodass schon in einer frühen Phase kontrafaktisches Denken eingeübt werden kann, indem die sich die Schüler vorstellen können, in welche Rolle sie schlüpfen würden, könnte ihre Seele wandern. Mit dem Hinduismus wird eine nicht-monotheistische Religion eingeführt, die vielen SuS nicht bekannt ist, obwohl sie die drittstärkste Glaubensgemeinschaft ist. Und mit Giordano Bruno wird ein Wegbereiter der Aufklärung und des Humanismus namentlich (freilich im kontrafaktischem Szenario) eingeführt.

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