Platten, die mein Leben begleiten: Jimmy Keith & his Shocky Horrors – Great teenage swindle

Jimmy Keith & his Shocky Horrors besetzen den Platz, die sicher einflussreichste Band in meinem Befreiungskampf aus der häuslichen Enge zu sein. Die ‚Great teenage swindle‘ ist die erste Langspielplatte, die von Leuten rauskam, die ich kannte und mit denen ich das Vergnügen hatte, rumziehen zu dürfen. Das war die ganz große Welt für mich in den frühen 1990er-Jahren.

Tom Tonk hatte mich gerade adoptiert und damit geadelt, für seine Rock-Zeitung schreiben zu dürfen, weil er gehört hatte, dass ich für die Schülerzeitung des Mannesmann Gymnasiums Artikel verfasst hatte, in denen ich Alles und Jeden anpöbelte. Artikel, die mir auch heute noch unfassbar peinlich sind.
Ich saß daraufhin gefühlte Wochen am Stück in dem diffusen, Zigarettenqualm-geschwängerten Licht seines Wohnzimmers und bekam Nachhilfe in Sachen Musik. Zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich die Dickies aber auch King Uszniewicz & his Uszienicztones. Dabei lernte ich unfassbare Menschen wie Lothar kennen, der exakt eine Kaffeetasse besaß und diese über Jahre nutzte, ohne sie jemals mit Spülgift zu entweihen. Tom hatte nämlich einen Faible für besondere Menschen wie Musik.

Und dann holte er den Hammer raus: Tom sang in einer Band, die bald im Großenbaumer Bahnhof spielen sollte. Unfassbar! Und ich war auf der Gästeliste! Wahnsinn! Problem war nur, dass Tom sagte, dass sie so rock’n’rollige Rockmusik machen würden. Der hatte ich ja abgeschworen, gerade weil auch Hardcore und Bad Religion Einzug in mein Leben gehalten hatten. Anyway: Der Bahnhof war rappelvoll, das Bier floss in Strömen und die Bude wackelte. Es war ein unfassbares Inferno, das die vier Jungs da abfeierten. Angetrieben von einem Schlagzeuger, über den alleine man schon ganze Bücher füllen konnte: Mattes Pötters, Rock’n’Roll in Person. Ich glaube nicht, dass er viel konnte, aber Druck hat er gemacht. Und auf den Nebenschauplätzen des Geschäfts wusste er auch durch beeindruckende Anekdotendichte zu überzeugen. Der Bassist Guido dagegen war sein Gegenstück: Ein wirklich lieber Junge, der offenbar auch Erziehung genossen hatte. Aber die gute Kinderstube führte ihn immer wieder in Konflikte mit Mattes, der es sichtlich genoss, auf ihm rumzuhacken. Dafür bot er auch immer genügend Anlässe: Er hatte lange lockige Haare und hätte sowieso eher in eine Hairspray-Metal-Band gepasst. Außerdem hatte er den Bass fast unter dem Kinn hängen und konnte ihn spielen, was in einer Punkband mit Argusaugen beäugt wurde. Und eine solche waren sie zweifelsohne. One-Two-Three-Four und ab auf das Gaspedal. Und das direkt vor der Haustür: Die beste Band der Welt! Und Zepp Oberpichler: Der Gitarrist und Womanizer der Band schenkte dem Sound die dazugehörigen Melodien. Außerdem harmonierte er unfassbar mit Tom als Co-Bandleader/Sänger: Während Tom beinahe autistische Züge zeigte, war Zepp die geborene Rampensau. Die beiden machten Dialektik zu ihrem Geschäft. Und zu viert waren sie definitiv unmöglich. Ich kann mir nicht erklären, wie diese “Fab vier” es über so viele Jahre aushielten, zusammen die Bretter der Welt zu bereisen.

‚Teenage summer love‘, ‚We go surfin‘, ‚Stay teenage‘ und ‚To the horrors‘ von ihrem brillantem Debut-Album sind immer noch unsterbliche Hits. Später sangen sie zurecht: We taught the Richies how to surf. Wenn ich das Album jetzt nach zig Jahren wieder höre, läuft mir eine Gänsehaut nach der anderen runter. All die Geschichte, die wir zusammen erlebt haben: Die Townhall in Paua oder Cock Sparrer im Marquee. Durch sie bin ich endgültig in der Welt des Punkrocks gestrandet, hab den Lokalmatadoren und Richies das Backstagebier weggetrunken und letzten Endes sicher auch den Mut gefunden, meinen damaligen Beruf als Bankkaufmann hinzuschmeißen und später mit Micha Will das Plastic Bomb zu gründen. Dass die Jungs nie den Ruhm ernteten, den sie verdient hätten, gehört zu den Ambiguitäten, die das Leben mitbringt. In meinem Herzen lebt der ‚Great teenage swindle‘ aber immerfort.

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