Ein Impfbericht


„Das war´s, alter Junge… Was soll´s?“ so sprach ich immer wieder zu mir, fand jedoch keine Ruhe, nur die verärgerte Beachtung meiner Mitinsassen. Um, ohnehin schon hektisch zuckend, nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, wandte ich mich der riesigen bespielten Leinwand zu, welche man, gewiss in der Absicht, die Opfer zu paralysieren, auf der sonst regelmäßig betanzten Bühne angebracht hatte. Seltsamerweise hatten sich die Verantwortlichen für einen Horrorfilm entschieden, einen stümperhaften Zusammenschnitt niemals bedeutender Sport- und Kulturveranstaltungen meiner Heimatstadt, unterlegt mit einem Gesäusel, das so manchen Fahrstuhl noch vor Scham hätte erröten lassen. Geschwind senkte ich den Blick und probierte erfolglos, mich auf eine mitgebrachte Lektüre zu konzentrieren. Es handelte sich um die vor allem im Internet vertriebene Zeitschrift „Hier stimmt was nich!“, doch war ich zu keinem klaren Gedanken mehr fähig.
Dann marschierten auf einmal Soldaten durch den Saal, voll uniformiert, die jungen Gesichter verdeckt, und ich fragte mich unwillkürlich, ob sie wohl den Auftrag erhalten hatten, auffällig werdende Wartende auszusortieren. Hatte man im Kant-Park bereits Gruben ausgehoben, lagen hinter der Halle Säcke voller Löschkalk bereit? Ging es jetzt an meine Entsorgung?
Nein! Der Herr ließ diesen brutalen Kelch noch einmal an mir vorüberziehen. Bloß zu welchem Zwecke? Trug ich den Verfall nicht schon in mir, injiziert von gewissenlosen Grünkitteln? Ich zuckte weiter, noch etwa 10 Minuten lang.
Als sich meine mit mir eingetretenen Nachbarn erhoben, folgte ich ihnen einfach, ohne noch irgendwen um Erlaubnis zu fragen. Natürlich rechnete ich mit Schlägen, vielleicht mit Schüssen, aber es geschah nichts. Bestimmt war ihnen die Gewissheit genug, dass wir draußen oder in unseren Behausungen jämmerlich verenden oder in ihren Sinne mutieren würden.
Als ich endlich wieder ans Tageslicht kam, war ich mir nur einer Sache sicher: Nicht mehr und nie wieder derselbe zu sein. Ich steckte mir zitternd eine Zigarette an, lief zur Tankstelle, kaufte eine Flasche Whisky und eine kleine Cola und schluckte daheim die restlichen Tabletten. Als der Schnaps zur Neige ging, hielt ich mich ans Rumaroma und ein paar alte Lackdosen.
Sollte mich in den nächsten Tagen jemand tot in meiner Bude finden, zum Beispiel weil ich dem Amazon-Boten und dem Gerichtsvollzieher nicht geöffnet habe, so bitte ich ihn, so bitte ich Dich: Erzähle die Wahrheit allen, die sie noch hören wollen! Und schrei sie hinaus, bis sie auch in die tauben Ohren der anderen dringt! Dann werde ich zumindest nicht umsonst gestorben sein.

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