Platten, die mein Leben begleiten: AC/DC – Highway to hell

Dieses Nominierungs-Kettenbrief-Gedöns mit zehn Scheiben, die irgendwie wichtig sind, erreichte nun auch mich. Danke Zepp, danke Didei, dass ihr an mich gedacht habt. Ich dachte natürlich zunächst, dass es irgendwo ein alberner Zeitvertreib ist, aber nach und nach ist mir bewusst geworden, wie mein Denken, mein Erinnern von Musik geprägt ist. Immer und zu jeder Zeit war Musik für mich eine Oase, in die ich der wüsten Realität entschwinden konnte. Musik regierte das Kopfkino und bot meinen Gedanken Möglichkeiten, wie die Welt auch sein könnte oder besser sein sollte.

Wenn ich an meine erste selbst gekaufte Musik-LP zurückdenke, komme ich nicht umhin, mir all die Umstände zu vergegenwärtigen, die die Zeit für mich mitbrachte. Und tatsächlich ist die „Highway to hell“ von AC/DC eine der wenigen Scheiben, die ich über all die Jahre behalten hatte, während ich andere Scheiben verschämt wegwarf oder weggab, wenn ich meinen Musikgeschmack auf ein vermeintlich höheres Level anhob. Und während ich dies schreibe, fällt mir ein, dass es gar nicht stimmt, dass AC/DC die erste LP war, die ich mir kaufte. Aber dazu später, denn die muss ich erst nachkaufen, damit das Kino auch richtig läuft.

Die „Highway to hell“ von AC/DC war also die erste LP, die ich mir in Duisburg kaufte. Sie war nicht gerade erst herausgekommen, sondern bestimmt schon ein Jahr auf dem Markt. Mal Sondock hatte mir schon den einen oder anderen Song nahegebracht und auch in der Schlagerrallye waren AC/DC keine Unbekannten. Meine Mutter hatte in Duisburg geheiratet und war mit mir von Essen Kray nach Duisburg Großenbaum gezogen. In Essen durfte ich noch ein Schulhalbjahr die Grundschule beenden und bei Oma und Opa dick und rund werden, um dann in Duisburg auf eine weiterführende Schule zu gehen. Zwei Schulen sah ich mir an: Die Gesamtschule Süd und das Reinhard- und Max Mannesmann-Gymnasium. Beide Schulen sahen fremd und groß aus, aber mir war ziemlich schnell klar, dass ich auf keinen Fall auf eine Gesamtschule gehen wollte. Die hatte damals, glaube ich, acht Noten anstatt der gewohnten sechs. und mir war sehr schnell klar, dass ich nicht mit den Kindern, die mangelnden IQ durch schlagende Argumente auszugleichen wussten, in ein Gebäude wollte. Das hatte ich zu Genüge in der Grundschule und im Kinderhort erlebt. Auf der anderen Seite wusste ich, dass ich auf einem herkömmlichen Gymnasium keine Schnitte hätte, denn ich war das klassische Kind bildungsferner und armer Schichten: klein, dick und schlimm von Mama gekleidet. Auf einem besseren Gymnasium in der Stadtmitte hätte ich es auch nicht besser gehabt. Also fiel die Entscheidung auf das Mannesmann-Gymnasium, das damals als Arbeiter-Gymnasium galt.

Die Entscheidung war gefallen, es war Sommer und es waren die ersten Tage in meiner zukünftigen Hölle. Meine Mutter hatte ihren Beruf als Putzfrau im Kindergarten aufgegeben und war schon bei meinem neuen Vater in die 75m²-Wohnung in der Lauenburger Allee eingezogen. Ich kam hinterher und zog zu meinem neuen Bruder Rüdiger, der 3 ½ Jahre älter als ich war, in ein gemeinsames Kinderzimmer, das nicht größer als 15 m² gewesen sein kann. Tatsächlich hatte ich vorher so ein Zimmer alleine gehabt, mein neuer Bruder natürlich auch. Jeder von uns bekam eine Seite in der schmalen Zelle und hatte eine massive Schrankwand mit eingebautem praktischen Ausziehschreibtisch und Ausklapp-Schrank-Bett. Vor der trinkfesten Verwandtschaft wurde die Nützlichkeit ausgiebig gelobt, aber mit Privatsphäre war es fortan für uns vorbei. Und Fluchten wie das stille abschließbare Örtchen wussten meine Eltern schnell zu versperren, indem sie einfach die Schlüssel einkassierten.

Es war also der erste Sommer in der Hölle und im Nachhinein wird mir bewusst, dass die Wahl des Titels „Highway to hell“ bestimmt ein prophetisches Zeichen war. Ich stand also bei Primus vor dem Plattenregal der Plattenabteilung. Primus war damals der größte Einkaufsladen, den ich je gesehen hatte: Ein unendlich großer Lebensmittelmarkt, der auch alles Mögliche Andere hatte. Eine Wüste an Dingen wie Butter und Mister Softy-Milch, die einen 10jährigen nicht im Entferntesten interessierten. Ein Plattenregal gefüllt mit Abba, Boney M. Joe Cocker, Supertramp und Supermax. Und dazwischen diese fünf Jungs, die dich angucken, als ob sie dich am Höllentor begrüßen. Ich habe mir nie gemerkt, wer von AC/DC wer ist. Außer Bon Scott, das muss der Typ mit den Hörnern gewesen sein, denn der Sänger steht immer in der Mitte. Der zieht die Oberlippe lässig hoch und kündigt schon mal an, dass er es ist, der in Zukunft das Sagen hat. Rechts lacht einer freundlich zur Begrüßung. Ganz links der Typ guckt so richtig abfällig und signalisiert, dass er dir im richtigen Moment einfach mal so eine Abreibung verpassen wird, dass du dich auf keinen Fall sicher fühlen sollst: Du stehst unter Beobachtung. Dazwischen lugt einer hervor, der gar nicht fassen kann, dass ein solcher Idiot wie du sich traut, da vor ihnen zu stehen oder gar um Aufnahme in die Gang zu bitten. Und ganz hinten der Typ scheint beiläufig mal rüber zu blicken, um zu sehen, wer der Nächste ist, der es nicht bringen wird. Die Scheibe ist Versprechen und Herausforderung zugleich. Das ist genau die Art von Typen, die vor nichts und Niemandem Angst haben.

Und dazu dröhnt genau dieser unfassbar trockene, knackige und coole Sound, er drückt sich beim Hören in deine Gehirngänge und weitet sie. Wie so wenig so viel sein kann. Ich denke, das dürfte der Höhepunkt aller Rockmusik gewesen sein. Nie wieder hat mich solche Musik auch nur annähernd so gepackt. Ich hatte all meine Freunde, mein Leben und meine Freiheit in Essen zurückgelassen. Ich war eingesperrt in 15m² mit einem fremden Jungen, hatte Süßigkeiten, Bücher und Musik. Ich hatte keine Handlungsoptionen: Mein Stief-Vater bestimmte, entlang der Eckpunkte Frühstück ab halb sieben, Mittag pünktlich um 12 und Abendessen um Punkt 18 Uhr wo es lang lief: Sobald es ging, lief der Fernseher und vorher mussten wir meistens raus. Das hieß für mich, ich musste mit dem gleichaltrigen Nachbarsjungen Thomas spielen, der ebenfalls den ganzen Tag vor die Tür geschickt wurde. Ein einfacher aber netter Kerl, der einen heftigen Freundeskreis bei den Familien vom Grindsbruch hatte. Dort liefen die Väter in Feinripp rum und hatten immer ein Bier in der Hand. Die Kinder gingen allesamt auf die Sonder- oder die Gesamtschule, was mich in der Wahl meiner Schule bestätigte, denn wenn man dort nicht verprügeln werden wollte, musste man mitziehen. Also musste ich mindestens Rauchen, was ich ganz gerne mitmachte und beim Klauen Schmiere stehen, wobei ich echte Todesängste verspürte. Schließlich stand Opas Drohung im Raum, dass ich ja aufpassen sollte, nicht so ein Verbrecher wie mein leiblicher Vater zu werden.

Meine Welt war aus den Angeln gehoben und AC/DC machten das mit „Highway to hell“ erträglich. Für diese Momente auf dem Plattenteller in meinen Kopfhörern bin ich ihnen unendlich dankbar.

 

 

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